Wenn kratzen gefährlich wird

Wenn das kratzen zu viel wird....
Wir kennen es alle - ein Gelsenstich genügt, um uns in eine Kratzrage zu versetzen. Seit Kindheitstagen wissen wir auch: Umso mehr wir kratzen, umso schlimmer wird es! Aber wenn es doch so gut tut! Ein Teufelskreis ist das. Nur gut, dass der Gelsenstich und der damit einhergehende Juckreiz bald wieder abklingt. Was nun wenn nicht? Wenn der Juckreiz bestehen bleibt und wir uns Tag und Nacht kratzen müssen? Ein Albtraum! Gibt es nicht? Leider doch!  Dr. Gawande stellt uns einen solche Patienten vor die viel durchmachen musste. 


Eine junge Frau, deren Leben privat, beruflich und gesundheitlich  bergab ging, entwickelte aufgrund ihrer kürzlich erworbenen HIV Erkrankung noch Gürtelrose (eine übliche Komplikation der HIV Infektion). Bei dieser durch Herpes Viren verursachten Erkrankung bilden sich Hautblasen um einen entzündeten Nerven und genau diese Blasen können einen extremen Juckreiz hervorrufen. Die Gürtelrose wird meist gut mit antiviraler Medikation unter Kontrolle gebracht doch wiederkehrende Blasenbildungen können oft nicht vermieden werden. Auch bei dieser Patienten sah alles zunächst nach einem normalen Krankheitsverlauf aus - doch an einer Stelle am Hinterkopf wurde die Haut taub und ein konstanter Schmerz stellte sich ein, der nur durch vielfaches Kratzen kurzzeitig gelindert werden konnte. Unzählige Doktorbesuche später und ebensoviele Therapieversuche später war der Schmerz nicht gelindert und die betroffene Kopfstelle wurde schlimmer und schlimmer. Eines Tages wachte sie früh morgens auf und sah sich in einer grün-gelben Flüssigkeit wieder. Diesmal war es passiert, während der Nacht hatte sie sich endgültig durch die letzte Schicht des Schädelknochen gekratzt. Am Tag konnte sie sich meist noch ablenken, doch in der Nacht hatte sie keine Kontrolle über ihre Finger und Nägel.  So geschah es, dass sie sich de fakto zum Gehirn durchgekratzt hatte. Sie musste sofort Notoperiert werden und wurde danach  in eine geschlossene Anstalt eingewiesen in der sie  in der Nacht zum eigenen Schutz fixiert wurde. Die Ärzte standen weiterhin vor einem Rätsel und nahmen die Sache ernster als noch am Anfang.

Die Erforschung des Kratzen geht zurück auf den deutschen Mediziner Haffenreffer des 17 Jhd. der das Kratzen erstmals definiert hatte. Es bildeten sich  leider diverse Mythen die bis heute bestehen blieben obwohl die Forschung schon wichtige Fortschritte erzielen konnte. Unter anderem wurde von einem weiterem deutschen Forscher herausgefunden, dass der Schmerz sowie der Juckreiz von zwei unabhängig voneinander fliessenden Nervenbahnen übertragen wird. Diese Juckreiz spezifischen Nervenstränge haben eine extrem verzögernde Übertragungsgeschwindigkeit was wiederum erklärt wieso der Juckreiz sich langsam auf, sowie auch abbaut. Gleichzeitig fand man heraus das bestimmte Gehirnareale diesen Juckreiz bearbeiten würden. Das erklärte nun auch warum  man sich selbst nur kratzen aber nicht kitzeln kann. Das schafft nur eine andere Person. Ebenso fangen wir uns auch schon zu kratzen an wenn wir nur von Spinnen oder anderen Insekten hören oder sie nur zu sehen bekommen. Wahrscheinlich haben sich die meisten von euch während des  Lesens das ein oder andere Mal gekratzt. Selbst an mir ging es nicht spurlos vorbei und Ich konnte das kratzen nicht lassen.

Was wir und auch viele Mediziner vergessen haben, und hier hat sich die medizinische Meinung in den letzten Jahrzehnten klar verschoben: Nicht unsere Sinne neben die ganze Umgebung war. Erst unser Gehirn füllt die zahlreichen Lücken und interpretiert die eingehenden Sinneswahrnehmungen entsprechend. Und hier liegt auch das Fatale, zumindestens für unsere Patienten. Obwohl selbst die letzten übrigen Nervenbahnen von der Schmerzstelle operativ entfernt wurden, stellte sich höchstens eine kurzfristige Verbesserung der Symptome ein. Die Patientin selbst leidet heute noch unter dem Kratzwahn, hat aber gelernt besser damit umzugehen. Heute sehen die Ärzte sie als eine weitere Patientin unter den Phantomschmerz Patienten. Die erstaunlichsten unter ihnen glauben sie haben Arme oder Beine, obwohl sie keine mehr besitzen. Ein häufiger Fall von Phantom Gliedmassen ist jener bei Brustkrebspatientinen. Nach einer Brustentfernung nehmen viele Frauen noch immer ihre bereits entfernte Brust wahr. Aber selbst die meisten von uns haben schon ein solches Phänomen erlebt. Beim Zahnarzt; Wenn durch die lokale Spritze unsere Mundhöhle und Lippe  betäubt wird (daher auch die Nerven selbst auf "Aus" geschaltet wurden) kommt uns unsere Lippe angeschwollen vor , obwohl wir im Spiegel klar erkennen können, dass sich die Größe nicht verändert hat. Ein Beweis wie leicht man unser Gehirn reinlegen kann. Leider ist es nicht immer so harmlos wie beim Zahnarzt. 

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